19. April 1816: Die Ankunft von Marie-Louise

Die Herzogin bezieht ihr Herzogtum

von Carlo Ferrari

 

Die Nebenstraßen der „Bassa“ (Streifen flachen Gebiets der Provinz von Parma, das sich über etwa 15 Meilen an der Südseite des Flusses Po erstreckt) bieten vor allem im Frühling und Sommer Möglichkeiten für entspannte Spaziergänge und die Suche nach Details.

Am 19. April 1816 betritt seine Majestät, die kaiserliche Prinzessin und Erzherzogin von Österreich, Marie-Louise, auch Herzogin von Parma, Piacenza und Guastalla, das Gebiet des Herzogtums. Ein paar Monate zuvor wurden ihr vom Wiener Kongress die Herzogtümer anvertraut, nach der endgültigen Niederlage ihres Ehemannes, Napoleon, dem sie sich entschied, nicht ins Exil auf der abgelegenen Insel St. Helena zu folgen.

Es war ein Morgen mit wechselhaftem Wetter, doch bei ihrer Ankunft „sind die Wolken verschwunden und nach und nach, ohne tosenden Wind, lachte der klare Himmel. Und so bereitete man für die außerordentlich majestätische Reisende einen herzlichen Empfang in ihrem Herzogtum vor“, so schrieb der Chronist der „Gazetta di Parma“ am 23. April 1816.

„Sie überquerte den großen Fluss nach Casalmaggiore zu Fuß über eine 363 Meter lange Bootsbrücke.“

Man kann sich ihre langsame Reise entlang des Ufers des Po von Guastalla nach Colorno zwischen Pappeln und saisonalen Blüten gut vorstellen. Das Überleben von Veilchen auch an den schattigsten Stellen erinnert an die Lieblingsblume der Herzogin, die die Bürger von Parma auch heute noch an ihrer Grabstätte in der Kapuzinergruft in Wien als Tribut darbieten.

Wien war der Geburtsort von Marie-Louise von Österreich, die sich am 29. Februar 1816 offiziell dazu entschied, ihren eigenen Namen ins italienische „Maria Luigia“ umzuändern, bevor sie nach Emilia-Romagna aufbrechen würde.

Sie überquerte den großen Fluss nach Casalmaggiore zu Fuß über eine 363 Meter lange Bootsbrücke, die anlässlich Antonio Cocconcelli gebaut wurde, zu dessen Ende die Gemeinde Parma außerdem zwei große Pyramiden errichtet hatte. Schließlich setzte sie ihren Fuß auf das Festland und stieg in die Kutsche nach Colorno.

Folgt man dem Ufer entlang Parma, stößt man auf das Copermio-Oratorium, das mit seinem abfallenden farbigen Dach überraschend an die mit polychromer Majolica (italienische zinnglasierte Keramik) verzierte Abdeckung des Wiener Stephansdoms erinnert.

Es ist schön, daran zu denken, dass die zukünftige Herzogin von Parma das Oratorium aus der Ferne sehen konnte, während sie am 18. April um 7 Uhr abends in Colorno eintraf, um im königlichen Palast zu verbleiben, der später zu einer ihrer bevorzugten Sommerresidenzen werden sollte.

Der Palast in Colorno erinnerte sie mit seinen mehr als 400 Zimmern, Fluren, Höfen und dem im französischen Stil des 18. Jahrhunders im Jahre 2000 angelegten Garten wahrscheinlich an ihr Leben als Kaiserin von Paris. Die Räumlichkeiten sind heute unter anderem Heim der internationalen Schule der italienischen Küche „Alma“.

Der Palast wurde 1660 auf Geheiß von Ranuccio II Farnese auf der Festung „Azzo da Correggio“ errichtet. Die verschiedenen Baustile sind von französischen Architekten gekennzeichnet. Unter anderem zum Beispiel Ennemond Alexandre Petitot, der für die monumentale Umgestaltung des Gartens und der Treppen zuständig war.

Eine weitere Sache verbindet Marie-Louise, Paris, die herrschenden Familien und Veilchen auf eine ungewöhnliche Art und Weise: Eiscreme.

Ende April schmückt die Ausstellung „Das Zeichen der Lilie“ drei Tage lang die Palastgärten mit Blumen und Zierpflanzen. Diese zieht möglicherweise Besucher an, die sich von den ersten heißen Nachmittagen im Jahr erholen wollen. Nicht weit entfernt können sie dann die Eisdiele „Naturalmente Golosi“ („Natürlich naschhaft“) finden. Jedes Jahr experimentieren die Eismeister mit innovativen Geschmacksrichtungen, die im Frühling frisch auf den Markt kommen. Sie dominieren den heißen Sommer Colornos und einige dieser Geschmacksrichtungen  verdanken ihre Existenz der Herzogin selbst. Ein Beispiel dafür ist die Eissorte „Veilchen von Parma“. Diese Geschmacksrichtung erinnert Touristen an die Vorliebe der Herzogin für die Blumensorte „viola suavis“ (lila Veilchen), die sie selbst gezüchtet hat. Diese außergewöhnliche Verbindung könnte einige Reisende außerdem an die Geschichte des Adligen Francesco Procopio dei Coltelli erinnern, der 1660 von Palermo nach Paris kam. Er baute sein berühmtes Café „Le Procope“ in der Rue des Fossés Saint Germain, die heute als Rue de l'Ancienne Comedie bekannt ist. Schließlich wurde er zu einem so bekannten Eisverkäufer, dass er von König Ludwig XIV in den Tuilerienpalast eingeladen wurde.

Aber kommen wir zurück zur Reise von Marie-Louise, die am folgenden Tag, dem 20. April 1816, den Palast verließ und in die herzogliche Limousine einstieg, gefolgt von 18 weiteren Kutschen aus Parma. Wir stellen uns vor, wie sie, während sie entlang der Asolana Straße reist, aus dem Fenster blickt und eine Landschaft sieht, die sich in den letzten zwei Jahrhunderten nicht wirklich verändert hat. An den ersten Abzweigungen der Stadt musste die Herzogin die imposante Architektur der Certosa di Paradigna bewundern, in der sich heute das Studienzentrum und Archiv der Kommunikation (Centro Studi e Archivio della Comunicazione  - CSAC), sowie seine bedeutende Kunstsammlung befinden. Seit dem 23. Mai 2015 ist das Zentrum ein öffentliches Museum und nicht mehr nur für Gelehrte zugänglich. Nicht weit entfernt umranden die Gewässer der Kanäle und ihre Vegetation ebenso weitere faszinierende Passagen.

Der offizielle Eintritt in das Herzogtum erfolgte um 3 Uhr nachmittags durch das San Michele Tor und kurz darauf schrieb Marie-Louise von Österreich an ihren Vater: „Die Menschen begrüßten mich mit einer solchen Begeisterung, dass mir Tränen in die Augen stiegen.“

Ein würdiges Finale für eine Stadt, deren Einwohner die kluge Erzherzogin noch heute als eines der Wahrzeichen Parmas betrachten – eine Art heilige Figur und Beschützerin, die sich durch das musikalische Melodrama einen Namen gemacht hat und die ihren Wahlplatz im Teatro Regio (Opern- und Theaterhaus) hat, das von ihr selbst erbaut wurde.

Im  Glauco Lombardi Museum werden Möbel, Juwelen und persönliche Gegenstände von Marie-Louise gesammelt. Nachdem unser Reisender dort war, kann er durch den herrlichen Garten des Herzogspalastes spazieren, der dank des Herrschers von Parma ein seltenes Beispiel für einen fürstlichen öffentlichen Garten ist. Anschließend kann man in der Stadt Halt machen und sich vom leckeren Essen verführen lassen. Man kann sich überwältigen lassen von Vorspeisen bestehend aus Wurst, Parmesankäseflocken, Kräuter-Tortellini oder gegartem Fleisch aus dem Ofen. Speisen, die einer Herrscherin gebühren, oder besser gesagt einer „guten Herzogin“. Diese Mahlzeiten sind nicht nur eine Erinnerung an das damalige Parma, sondern auch eine gastronomische Hommage, denn Speisen wie Rouladen oder „Fleischtaschen“, gefüllt mit Parmaschinken und Parmesan, haben viele Restaurants in Parma und der Provinz weiterhin auf der Speisekarte. Für echte Feinschmecker findet sich dort auch hoch kalorienhaltiger Kuchen.

 

Übersetzt von Kimberly Hribar